Wirtschaft | Gastbeitrag

Eine gefährliche Aussage

Über eine immer wiederkehrende Aussage von Landesrat Arnold Schuler und ein Plädoyer für die biologische Landwirtschaft.
Agethle. Alexander
Foto: Privat
Landesrat Arnold Schuler hat vor Kurzem der Online Plattform barfuss.it ein Interview gegeben. In dem Interview sagt der Landesrat für Landwirtschaft wörtlich:
 
"Die Weltbevölkerung wächst, gleichzeitig können sich immer mehr Menschen ein Konsumverhalten wie im Westen leisten und leider werden auch immer mehr Lebensmittel weggeworfen. In der Folge braucht es jedes Jahr mehr Lebensmittel. In Europa produzieren wir aber jetzt schon weniger, als wir konsumieren. Auch Italien ist mit einem Selbstversorgungsgrad von unter 80 Prozent – Tendenz sinkend – ein Nettoimportland. Als Konsequenz müssen wir immer mehr importieren, mit längeren Transportwegen und teils aus Ländern, in denen die Menschen diese Lebensmittel selbst dringend brauchen und wo unsere Nachfrage die Preise in die Höhe treibt. Das ist ökologisch und moralisch nicht tragbar. Das Ziel muss es deshalb sein, mehr – und gleichzeitig nachhaltiger – zu produzieren."
 
Diese Aussage schätze ich deshalb als gefährlich ein, weil das Thema der notwendigen Mehrproduktion indirekt, agroindustrielle Produktionsformen legitimiert bzw. alle anderen Lösungsansätze als zweitrangig diskreditiert. Das ist eine Täuschung.
Der Ökolandbau ist nicht perfekt aber der konventionellen Landwirtschaft in Vielem überlegen
 
 
Das immer wieder vorgebrachte Argument, der Ökolandbau liefere nicht genügend Erträge, ist ziemlich verquer und ignoriert das heutige Wissen um die Ökosystemdienstleistungen landwirtschaftlicher Systeme:
 
Statt der sogenannten Flächeneffizienz, die nur den Ertrag der Verkaufsfrucht berechnet, hat der Ökolandbau Tiefeneffizienz. Er hat die deutlich bessere Bilanz, egal, ob Energieverbrauch, Klimaschutz und -anpassung, Humusaufbau, Wasserspeicherung, Grundwasserneubildung, Hochwasserschutz oder Artenvielfalt. Beispielsweise können ökologisch bewirtschaftete Böden 2x so viel Wasser halten und das Doppelte an CO2 speichern, wie konventionelle. 

Das Argument mit dem angeblich unzureichenden Ertrag und den dann umso schädlicheren Importen wird zwar immer wieder vorgebracht, ist aber veraltet und berücksichtigt den aktuellen Wissensstand nicht.
Die bisherige Referenzgröße für den Ertrag ist der Output von anfälligen Hochleistungspflanzen in einem nicht nachhaltigen System, wie dem konventionellen Landbau. Das heißt, wir wissen, dass das System nicht funktioniert, aber wir nehmen es dennoch als Messlatte. Dieser Maßstab liegt vielen Vergleichen von öko und konventionell zugrunde, ist aber schlicht unangemessen.
Der Ökolandbau ist nicht perfekt aber der konventionellen Landwirtschaft in Vielem überlegen
Hoch angepasste Mischkultursysteme, wie zB. Agroforst- und Permakultursysteme erzeugen deutlich mehr Ertrag auf der Fläche als konventionelle Monokulturen. Daher erreicht der Ökolandbau jetzt schon in den Tropen Erträge bis 174 % verglichen mit konventionellen Vergleichsflächen (Durchschnitt von 133 ausgewerteten Studien.)
Auch die US- Universität Berkeley berechnete einen durchschnittlich geringeren Ertrag von lediglich 19,2 % für US-Anbausysteme. Dieser Unterschied halbierte sich noch einmal, wenn nicht nur die Erträge einzelner Kulturen verglichen wurden (z.B. Mais mit Mais und Weizen mit Weizen) sondern ganze Anbausysteme.
 

Ein konkretes Beispiel aus dem Reisanbau, einem der bedeutendsten agrarökologischen Anbausysteme: es setzt auf Extensivierung und bringt dennoch mehr Ertrag hervor. Es verzichtet auf synthetischen Stickstoff und Pestizide, verbessert den Boden, verbraucht nur die Hälfte des sonst üblichen Wassers und trägt zur Entlastung des Klimas bei, indem es die Nassphase des Reisanbaus, in der Methan entsteht, weitgehend ausfallen lässt. Sein Erfolg beruht auf der Erweiterung der Pflanzabstände der Reispflanzen, die so mehr Wurzelraum erhalten und mehr Triebe bilden können. Auf diese Weise erhöht sich der Ertrag pro Hektar im Schnitt von zwei auf acht Tonnen (Uphoff, 2014). 

Nur 47% der Weltgetreideproduktion dienen der menschlichen Ernährung, der Rest wird verfüttert, verheizt, zu Treibstoff und anderen Industrieprodukten verarbeitet. 

Die Flächenfrage: Sämtliche Zukunftsszenarien für die Landwirtschaft fordern eine geringere Fleischproduktion und einen Rückgang der Tierzahlen, wenn die notwendigen Klimaziele eingehalten werden sollen. Mit einer flächendeckenden Umstellung auf Bioanbau wäre diese Reduktion ohnehin aufgrund der im Bioanbau vorgeschriebenen Flächenbindung der Tierhaltung gegeben, so dass deutlich mehr Fläche für den direkten Anbau von pflanzlichen Lebensmitteln und sogar pflanzlichen Rohstoffen zur Verfügung stünde. 

Industrieller Produktivismus: hat zu einem riesigen Ressourcenverbrauch geführt. Dazu zählen die Ölreserven, das Wasser, die Böden, die Pflanzen und Tierarten.....Nur 47% der Weltgetreideproduktion dienen der menschlichen Ernährung, der Rest wird verfüttert, verheizt, zu Treibstoff und anderen Industrieprodukten verarbeitet. 

Die Lebensmittelqualitäten sind in den letzten Jahrzehnten gesunken. Die indirekten Auswirkungen auf die Gesundheit der Menschen werden in keiner Volkswirtschaft berechnet. 

Die landwirtschaftliche Tretmühle: der Gedanke durch Technologieschübe (Mechanisierung, Zucht, Chemieeinsatz, Digitalisierung...) die Stückkosten der Produktion zu senken und die Produktivität pro Arbeitskraft zu steigern, führt langfristig zu Preissenkungen. „Das Einkommen der Bauern sinkt egal wie hart sie arbeiten“. Die Folgen sind weiterer Druck für Pflanze, Tier den landwirtschaftlichen Betrieb und die darauf wirtschaftenden Menschen. 

Eine vielfältigere landwirtschaftliche Produktion würde den viel zitierten Selbstversorgungsgrad Südtirols erhöhen und die Abhängigkeiten von Weltmärkten und das damit verbundene Risiko senken.
Für Südtirol bedeuten diese Überlegungen, dass wir beherzter die Umstellung auf ökologische Landwirtschaft angehen müssen. Politischer Ausdruck hierfür könnte eine deutliche Erhöhung des Etats für ökologische Agrarforschung sein.
Die aktuellen Hauptprodukte unseres Agrarlandes (Milch, Obst, Wein) werden zu großen Teilen auf internationalen Märkten abgesetzt. Eine vielfältigere landwirtschaftliche Produktion- in einem der klimatisch am günstigsten gelegenen Länder der Alpen, würde den viel zitierten Selbstversorgungsgrad Südtirols erhöhen und die Abhängigkeiten von Weltmärkten und das damit verbundene Risiko senken.