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Gefahren des Lockdowns - Das Glücksspiel

Die Schattengefahren des Lockdowns – Die Welt des Glückspiels
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Roulette
Foto: (c) pixabay

Seit gut einem Jahr lebt Südtirol und die Welt in einer Ausnahmesituation. Covid-19 hat unser wirtschafts- und gesellschaftspolitisches Leben auf den Kopf gestellt und uns zu ungeahnten Anpassungen gezwungen. Neben offenkundigen Herausforderungen, wie jenen der Gesundheitsvorsorge oder der Arbeitsplatzsicherung, galt es auch auf versteckte Gefahren zu achten, die sich insbesondere durch die Pandemie gefestigt haben.

Eine dieser Gefahren besteht außer Zweifel im Glücksspiel. Dieses widerfuhr in der Pandemie eine bedenkliche Entwicklung.

Die Situation

Der Lockdown zwingt die zahlreichen Spieltempel zur Schließung. Dies könnte für viele an Spielsucht leidenden Menschen die Möglichkeit sein, von ihrer Sucht loszukommen. Durch das Online-Glücksspiel aber besteht die Gefahr weiterhin und wird dadurch teilweise verschärft. Insbesondere da eine wesentliche Zunahme an Werbung für Online-Glücksspiel zu verzeichnen ist. Diese Werbung erreicht den potenziellen Spieler über jedes Endgerät (Smartphone, PC, Tablet, etc.), teilweise mit unlauteren Methoden und rund um die Uhr. Dies obwohl empfindliche Strafen für unlautere Geschäftspraktiken, insbesondere im Glücksspiel vorgesehen sind[1].

Eine Verschärfung der Situation war auch dem Lockdown geschuldet. Da durch die Ausgangsbeschränkungen sportliche und andere soziale Aktivitäten massiv eingedämmt wurden, fehlte es vielen potenziell gefährdeten Glücksspielern an Alternativen. Sämtliche gruppen- und gesellschaftsbasierende Aktivitäten konnten nicht mehr ausgeübt werden, was den Verzicht aufs Glücksspiel unterstützt hätte. Eine soziale Kontrolle, wie in einer Sport- oder Musikgruppe, war und ist nicht mehr gegeben.

 

Studie zur Ermittlung der Auswirkung der Pandemie auf Glücksspieler

Das ISS (Istituto Superiore di Sanità) hatte eine Studie[2] zu dem Zweck in Auftrag gegeben, das Spielverhalten der italienischen Bevölkerung in der Pandemie und im Lockdown zu untersuchen.

Das zunächst überraschende Ergebnis: während des Lockdowns im letzten Frühjahr sank das Glückspiel (physische als auch online) zunächst von 16,3% auf 9,7%. Leider währte dieser Trend nicht lange an, da mit den ersten Lockerungen der Ausgangssperre ein bedenklicher Anstieg auf 18% verzeichnet wurde. Dabei haben 1,1% Bürger mit dem Glückspiel neu begonnen. Bedenklich auch die Frequenz. Bei 19,7% der Studienteilnehmer, die bereits spielten, war eine Zunahme der Spielaktivität um durchschnittlich eine Stunde zu verzeichnen.

Die Studie ging jedoch weiter und analysierte zudem die Frequenz des Glücksspiels von Studienteilnehmern mit entsprechendem Suchtverhalten. Demnach waren Raucher (Tabak und Cannabis) wesentlich anfälliger auch für das Glücksspiel. Auch jugendliche setzten vermehrt auf Rubbellose, Sportwetten & Co.

Bedenklich ist dabei nicht allein das reine Glücksspiel, sondern insbesondere auch kostenlose Spiele, bei denen bezahlte Fortschritte vorgesehen sind („pay2win“, wie CandyCrush, Brawl Stars, Clash Royale, Fortnite, etc.).

Dazu gesellen sich sogenannte binäre Optionen, sprich Kurswetten, die sich zwar als Finanzprodukt tarnen, im Grunde jedoch nichts weiter als latente Glücksspiele darstellen.

Bereits im Jahr 2016 hat die staatliche Statistikbehörde ISTAT ermittelt, dass Familien durchschnittlich mehr finanzielle Ressourcen fürs Glücksspiel ausgeben als beispielsweise für Gesundheit, Kommunikation und Kleidung.[3]

ISTAT: Ausgaben der Südtiroler Familien im Jahr 2016[4]

Das staatliche Dilemma

Warum also das Glücksspiel nicht einfach staatlich massiv regulieren oder gar abschaffen? Sorgt es doch in vielen Familien für finanzielle Engpässe und Sorgen sowie einer außerordentlichen Belastung durch einem möglichen Suchtverhalten. Leider ist die Antwort nicht so einfach.

Durch die Glücksspielindustrie nimmt der Staat jährlich über 100 Milliarden Euro ein, die in den allgemeinen Steuertopf fließen. Allein im Jahr 2019 sorgt die italienische Glücksspielindustrie für Steuereinnahmen in Höhe von 110,54 Milliarden Euro[5] (Im Jahr 2018 waren es 104,9 Milliarden[6]). Das entspricht beinahe dem 18-fachen des Landeshaushaltes Südtirols.

Auch bietet die Glücksspielindustrie tausenden Bürgern einen sicheren Arbeitsplatz, was nicht unterschätz werden darf.

 

Steuereinnahmen und Arbeitsplatzsicherung dürfen dennoch nicht gegen die psychische Gesundheit Betroffener ausgespielt werden

 

Der wirtschaftliche Ertrag steht somit im Spannungsfeld zu psychisch gesundheitlichen Folgen der Spieler. Die Gesetzgebung zum Schutz suchtanfälliger Personen lässt sich durch das vielfältige Angebot, insbesondere online, ohnehin spielend leicht umgehen. Daher soll dies kein Alibi der Glückspiellobby sein, um deren Treiben weiter zu rechtfertigen.

Steuereinnahmen und Arbeitsplatzsicherung dürfen dennoch nicht gegen die psychische Gesundheit Betroffener ausgespielt werden. Es benötigt eindringlichere Maßnahmen zum Schutz suchtanfälliger Bürger*innen.

Lösungsansätze

Es gibt mehrere Ansätze zur Besserung schwieriger Situationen rund um Suchterkrankungen. Von staatlicher Seite eine solide Gesetzgebung zum Schutz suchtanfälliger Bürger*innen, welche der Glücksspielindustrie die Beweislast auferlegt, alles Erdenkliche dafür getan zu haben, keine potenziellen Opfer zu bedienen.

Doch gibt es auch gesellschaftliche Lösungsansätze. Besonders wichtig sind soziale Kontakte, die auch in Zeiten der Pandemie und des Lockdowns nicht zu kurz geraten dürfen. Daher sollte es bedingt durch Corona zwar zu einem „physical distancing“, niemals aber zu einem „social distancing“ kommen.

Befinden sich im Bekanntenkreis Personen mit derartigen Problemen, dürfen diese nicht allein gelassen werden. Der Griff zum Smartphone und der App wäre dabei vorprogrammiert und unter Umständen fatal. Auch professionelle Hilfe sollte in derartigen Situationen unbedingt in Betracht gezogen werden.

Unter anderem bietet auch das Forum Prävention Hilfesuchenden ein Netzwerk an Unterstützung und Information an.[8]

Das Wichtigste aber: lassen wir diese Menschen nicht allein.

[1]avvisopubblico.it/home/home/cosa-facciamo/informare/documenti-tematici/gioco-dazzardo/la-pubblicita-del-gioco-dazzardo-ricostruzione-della-normativa-della-giurisprudenza/
[2]iss.it/web/guest//news/-/asset_publisher/gJ3hFqMQsykM/content/id/5612441
[3]consumer.bz.it/de/familien-geben-fuer-gluecksspiele-mehr-als-fuer-gesundheit-kommunikation-und-kleidung-aus
[4]consumer.bz.it/de/familien-geben-fuer-gluecksspiele-mehr-als-fuer-gesundheit-kommunikation-und-kleidung-aus
[5]avvisopubblico.it/home/home/cosa-facciamo/informare/documenti-tematici/gioco-dazzardo/i-primi-dati-sul-gioco-dazzardo-in-italia-nel-2019/
[6]avvisopubblico.it/home/home/cosa-facciamo/informare/documenti-tematici/gioco-dazzardo/gioco-dazzardo-in-italia-nel-2018-aumentano-le-entrate-erariali/
[7]avvisopubblico.it/home/home/cosa-facciamo/informare/documenti-tematici/gioco-dazzardo/i-primi-dati-sul-gioco-dazzardo-in-italia-nel-2019/
[8]forum-p.it/de/fachstellen/sucht-1025.html