Umwelt | SALTO change

Der Mensch als Teil der Natur

Ein spezifisches Feld der Ethik ist die Umweltethik. Worum es dabei geht und welche Relevanz sie hat, erklärt der Philosoph und Umweltethiker Michael de Rachewiltz im Gespräch mit SALTO change.
Evolution des Menschen in der Natur
Foto: Unsplash, Montage: SALTO
  • Michael de Rachewiltz ist Philosoph, Ethiker und Forscher mit Schwerpunkt auf angewandter Ethik, Umwelt- und Wissenschaftsphilosophie. 

    Er leitet ehrenamtlich das Museum Brunnenburg in Dorf Tirol und forscht an der Eurac in Bozen, die sich interdisziplinär mit gesellschaftlichen, technologischen und ökologischen Herausforderungen der Zeit und unserer Zukunft befasst. Seine akademische Ausbildung umfasst ein Studium der Umweltwissenschaften in North Carolina sowie der Philosophie in Innsbruck.  

  • SALTO change im Dezember

    „Die Ethik des Wandels“, so lautet das SALTO change Monatsthema im Dezember.  Wie ist es um die Ethik in Organisationen, Parteien und Unternehmen bestellt, wie sieht es mit dem Begriff der Umweltethik aus? 
    Außerdem widmen wir uns unserem Konsumverhalten und stellen uns die Frage: ist das ethisch? Gerade zu Weihnachten wird diese Frage immer interessanter. Last but not least haben wir bei unseren redaktionsinternen Diskussionen zur Ethik auch erkannt: Ethik muss man sich auch leisten können und das wird bei steigenden Lebenshaltungskosten und zu niedrigen Löhnen immer schwieriger.

  • Michael de Rachewiltz: Philosoph, Ethiker und Forscher mit Schwerpunkt auf angewandter Ethik, Umwelt- und Wissenschaftsphilosophie. Foto: privat
  • Gerechtigkeit, Verantwortung, politische Regulierung

    Wir steigen in das Gespräch ein. Michael de Rachewiltz klärt den Begriff: „Umweltethik ist die philosophische Disziplin, die untersucht, wie das Verhältnis des Menschen zur natürlichen Umwelt moralisch zu bewerten und zu gestalten ist.“ Sie untersucht also, welchen Status Tiere, Pflanzen, Arten, Ökosysteme und zukünftige Generationen besitzen – und welche Verpflichtungen daraus für menschliches Handeln entstehen. De Rachewiltz definiert auch gleich die Kernfrage: „Die primäre Diskussion in der Umweltethik dreht sich um die Frage, wer zum Kreis der moralischen Gemeinschaft gehört und wie groß und umfassend dieser Kreis ist.“ 

    Damit berührt Umweltethik zugleich Fragen der Gerechtigkeit, der Verantwortung, der politischen Regulierung und unseres Selbstverständnisses als Teil der Natur. Sie ist somit kein Randgebiet, sondern ein zentrales Reflexionsfeld unserer Zeit. 

  • Für Eure Anregungen, Vorschläge und für Eure Kritik sind wir dankbar: Schreibt ganz einfach an: [email protected]

  • Akteure sind Staaten, Unternehmen, Institutionen und Generationen

    Obwohl philosophische Naturreflexionen eine lange Tradition haben, entstand Umweltethik als eigenständiges Fach erst in den 1960er- und 1970er-Jahren. Ökologische Krisen, das wachsende Bewusstsein für planetare Grenzen und visuelle Schlüsselmomente wie die Blue Marble-Aufnahme der NASA oder das Buch von Rachel Carson „Der stumme Frühling" führten zu einem Umbruch. 

     

    Das Bild der aufgehenden Erde führt uns die Fragilität unseres Planeten vor Augen.

     

    De Rachewiltz blättert zurück: „Bei der Apollo-17-Mission entstand 1972 das berühmte Bild der aufgehenden Erde, das unsere Wahrnehmung verändert hat, weil es uns die Fragilität unseres Planeten vor Augen führt.“ Carsons Buch ist ebenso mit prägenden Erkenntnissen verbunden: „Die drastische Beschreibung einer durch Pestizide zerstörten Natur im populärwissenschaftlichen Bestseller der Biologin gilt zurecht als einer der Zündfunken für die weltweite Umweltbewegung.“  
     
    Eine Besonderheit der Umweltethik ist, dass die relevanten Akteure häufig Kollektive sind: Staaten, Unternehmen, Institutionen oder gar Generationen. Damit erweitert sich die ethische Analyse auf vielfältige Akteure, komplexe Handlungsketten, politische Systeme und technologische Strukturen. Verantwortung ist nicht nur individuell, sondern strukturell – und gerade das macht umweltethische Orientierung so anspruchsvoll. 

  • Ökologische Konflikte sind selten monokausal zu lösen

    Umweltethik baut auf den drei klassischen normativen Ethiken auf. Normativ bedeutet, dass systematisch begründet wird, wie Menschen handeln sollen. Als erste kommt der Philosoph auf die Tugendethik zu sprechen: „Sie richtet den Blick auf Haltungen und Charaktereigenschaften. In ökologischen Kontexten gewinnt dies an Bedeutung, etwa bei Bescheidenheit, Fürsorge oder Achtsamkeit. Dies sind Tugenden, die zu bestimmenden Elementen der Umweltethik werden.“  

    Dazu gesellt sich die Deontologische Ethik, die Handlungen unabhängig von ihren Konsequenzen bewertet und fragt, ob eine bestimmte Handlung an und für sich moralisch geboten oder verboten ist. Als dritte Grundströmung ist der Konsequentialismus zu nennen, bei dem das Ergebnis einer Handlung im Zentrum steht. Die „bekannteste konsequentialistische Theorie ist der Utilitarismus, der das größtmögliche Wohl möglichst vieler zum Ziel erklärt“, führt de Rachewiltz aus. Keine dieser Ethik-Varianten kann alleine gelten: Die Umweltethik integriert meist alle drei Perspektiven, da ökologische Konflikte selten monokausal zu lösen sind. 

  • Michael de Rachewiltz: „Die primäre Diskussion in der Umweltethik dreht sich um die Frage, wer zum Kreis der moralischen Gemeinschaft gehört und wie groß und umfassend dieser Kreis ist.“ Foto: Markus Lobis
  • Ökosysteme, Arten und Biosphäre besitzen moralischen Status

    Der Kern umweltethischer Debatten ist die Frage, wem moralische Berücksichtigung zukommt. Die Spannbreite reicht von engen zu sehr weiten Konzeptionen: Im Anthropozentrismus hat nur der Mensch Eigenwert, eine Einschätzung, die lange im Vordergrund stand. Der Pathozentrismus hat stark an Bedeutung gewonnen und erweitert die moralische Gemeinschaft um Tiere, die Schmerzen erleiden und Empfindungen ausdrücken können, während der Biozentrismus allen Lebewesen Eigenwert zumisst. Immer stärker rückt der Ökozentrismus in den Fokus: Er besagt, dass ganze Ökosysteme, Arten und die Biosphäre moralischen Status besitzen. 

     

    Welche Bedeutung schreiben wir der Natur zu und welche moralischen Verpflichtungen folgen daraus?

     

    De Rachewiltz kommt vor diesem Hintergrund auf das Last-Man-Gedankenexperiment zu sprechen, das seiner Meinung nach besonders anschaulich macht, wie unterschiedlich diese Ansätze den moralischen Wert der Natur bestimmen. Das Szenario stellt sich vor, dass der letzte Mensch auf der Erde die gesamte verbleibende Natur zerstören könnte, ohne dass jemals wieder ein Mensch davon betroffen wäre. Die Frage, ob dieses Verhalten dennoch falsch wäre, macht deutlich, wo die Grenzen eines rein anthropozentrischen Blicks liegen und wie patho-, bio- und ökozentrische Positionen den moralischen Kreis über den Menschen hinaus ausweiten. De Rachewiltz macht deutlich: „Das Experiment arbeitet heraus, welche Bedeutung wir der Natur unabhängig von menschlichen Interessen zuschreiben und welche moralischen Verpflichtungen daraus folgen.“ 

  • Nachhaltigkeit? Natürlich!

    Ein Schwerpunkt des Gesprächs gilt der Nachhaltigkeit. De Rachewiltz erinnert an die Wurzeln in der deutschen Forstwirtschaft, verweist aber auf den Schlüsselimpuls der 1980er-Jahre: den Brundtland-Report und die Einführung der drei Nachhaltigkeitssäulen. „Der Brundtland Report hat zu der bekannten Dreiteilung ökologisch-ökonomisch-sozial geführt.“ 

    Besondere Aufmerksamkeit verdient laut de Rachewiltz die Idee einer diskutierten vierten Säule – die kulturelle Nachhaltigkeit. Sie umfasst nicht nur den Erhalt kultureller Güter, sondern die grundlegenden Denk- und Deutungsmuster, die unser Verhältnis zur Natur bestimmen: „Kultur prägt auch unseren Zugang zur Welt insgesamt. Mit der Integration der kulturellen Säule wird Nachhaltigkeit nicht bloß physikalisch und verwaltungstechnisch, sondern auch anthropologisch und zivilisatorisch relevant. 

     

    Selbst Gegner ökologischer Maßnahmen bestätigen indirekt ihre Bedeutung.

     

    Im Gespräch tritt deutlich hervor, dass Wissen allein nicht ausreicht, um ökologischen Wandel zu bewirken. Die zentrale Frage lautet: Führt die Auseinandersetzung mit Umweltethik tatsächlich zu verändertem Handeln? De Rachewiltz meint: ja, zumindest langfristig. Selbst Gegner ökologischer Maßnahmen bestätigen indirekt ihre Bedeutung: „Man merkt das ja daran, dass sie sie bekämpfen. Das heißt, sie nehmen es als etwas Relevantes und Existentes wahr.“ Umweltethik wirkt somit auf mehreren Ebenen: Sie klärt Konzepte, schärft Verantwortungsbewusstsein, bietet Orientierung in komplexen Konflikten und unterstützt gesellschaftliche Transformationsprozesse. 

    „Es genügt nicht, Natur nur technisch oder ökonomisch zu betrachten,“ schließt Michael de Rachewiltz: „Das Verständnis von Natur fordert ein Weltbild, das den Menschen als Teil eines größeren ökologischen Zusammenhangs begreift – und als Wesen, das Verantwortung trägt. Der umfassende ethische Diskurs erspart keine schwierigen Entscheidungen, eröffnet aber neue Perspektiven auf Gerechtigkeit, Zukunft und das Gute Leben.“ 

    Und darum geht es eigentlich.