Politik | SALTO change

Der auflösende Prozess gehört dazu

Wir sollten uns dem Neuen zuwenden, meint Kambiz Poostchi, der Zeiten des Wandels als Zwillingsprozess beschreibt und ein spannendes Organisationsmodell entwickelt hat.
das bessere Ich
Foto: Randy Jacob, Unsplash
  • Kambiz Poostchi ist eigentlich Architekt und war lange als solcher in Tirol tätig, wo er – einer ursprünglich iranischen Familie entstammend – aufgewachsen ist und so tirolerisch sozialisiert wurde, dass er in Vorstellungsrunden seinen Namen gern als typisch tirolerisch in die Runde wirft.

    Ich habe ihn als charismatischen und angenehm einnehmenden Lehrer kennengelernt, als ich eines seiner Seminare in der Nalser Lichtenburg besuchte, um mich näher mit dem von ihm entwickelten Open System Model zu beschäftigen. 

  • SALTO change im Dezember: ETHIK DES WANDELS

    „Die Ethik des Wandels“, so lautet das SALTO change Monatsthema im Dezember. Los geht es schon am 3. Dezember mit der Partner-Veranstaltung start.klar. im UFO bei der Kambiz Poostchi zu Gast ist, der sein Organisationsmodell auf einem ethisch geprägten Welt- und Menschenbild aufbaut. Im Laufe des Monats folgen weitere Vertiefungen dieses umfassenden Themenbereiches. 

  • Kambiz Poostchi: „Globale Herausforderung mit nationalem Denken in den Griff zu bekommen, geht nicht.“ Foto: privat
  • Sinn, Werte und Ethische Verantwortung im Mittelpunkt

    Das Open System Model (OSM) nach Kambiz Poostchi versteht Organisationen als lebendige, offene Systeme und nicht als rein technische Strukturen. Im Mittelpunkt stehen Sinn, Werte und ethische Verantwortung statt bloßer Effizienz und Gewinnmaximierung. Eine Organisation soll sich an ihrem Zweck für Mensch und Gesellschaft orientieren, wobei Führung als Dienst am Ganzen und nicht als Machtausübung verstanden wird.

    Gesunde Organisationen entstehen laut OSM durch klare Ordnungen, ausgewogene Beziehungen und Respekt vor menschlicher Würde. Offenheit, Lernfähigkeit und Selbstreflexion ermöglichen Entwicklung und Anpassung. Ziel ist eine Balance zwischen Struktur und Menschlichkeit, Stabilität und Wandel – damit Organisationen nicht nur funktionieren, sondern dem Leben und der Gemeinschaft dienen.

  • Für Eure Anregungen, Vorschläge und für Eure Kritik sind wir dankbar: Schreibt ganz einfach an: [email protected]

  • Gemeinwohl statt Eigeninteressen

    Mich hat neben der Klarheit und Schlüssigkeit seiner Aussagen vor allem der Umstand fasziniert, dass Poostchi sein Modell auf einem starken ethischen Fundament aufbaut. Im Open System Model bildet Ethik die innere Kompassfunktion der Organisation, indem sie Führung, Entscheidungen und Strukturen konsequent an Menschenwürde, Verantwortung und Gemeinwohl ausrichtet und damit sicherstellt, dass Macht, Erfolg und Effizienz stets dem Sinn des Ganzen und nicht bloßen Eigeninteressen dienen.

  • Start-Klar-Abend im UFO: Ein Gespräch mit Kambiz Poostchi öffnet den Zugang zum Bergwerk voller Edelsteine mit unschätzbarem Wert. Foto: UFO, Bruneck
  • Die Menschheit als Familie

    Kambiz Poostchi steigt mit einer Analyse in unser Gespräch ein: „Die Menschheit befindet sich momentan in einer besonderen Phase, in der es nicht mehr um Fragmente geht, die sich miteinander arrangieren müssen – es geht nicht um Stämme, es geht nicht um Völker oder um Nationen, sondern erstmals um die Menschheit als Familie, als Ganzes. 

     

    „Globale Herausforderung mit nationalem Denken in den Griff zu bekommen, geht nicht.“ 

     

    „Wir haben es nicht mit Stückwerk zu tun, sondern mit der Herausforderung und Chance der Einheit.“ Wenn wir in die Welt hinausschauen, erkennen wir eher eine Entwicklung in die Gegenrichtung. Für Poostchi ist das ein Teil der Herausforderung: „Die Probleme, die wir heute haben, kommen aus dieser Haltung, dass wir eine globale Herausforderung haben, aber versuchen, sie mit nationalem Denken irgendwie in den Griff zu bekommen, und das geht nicht.“ 

    Heute sind mehr oder weniger alle Ausgleichs- und Regelsysteme, die wir kennen, in einem kritischen Zustand – von der Wirtschaft über die Demokratie bis hin zum Klima. „Krisen sind aus systemischer Sicht nicht einfach Katastrophen, sondern Feedbackkreisläufe,“ gibt Poostchi zu bedenken: „Es gibt davon zwei Arten, einmal mit verstärkender Wirkung, einmal als ausgleichendes Feedback, wie eine Art gelbe oder rote Karte, die eine Bewusstseins- oder Verhaltensänderung zur Folge hat. Krisen sind also nicht Schicksalsschläge, die wir über uns ergehen lassen müssen, sondern das sind Signale mit klaren Botschaften.“

  • Vielfalt braucht einen gemeinsamen Fokus

    Aber, denke ich, jeder Kleingartenverein beschwört Einheit und Zusammenhalt. Ist diese Prämisse nicht auch ein Versuch, die Individualität in die Schranken zu weisen? „Es ist eine Einheit aus der Vielfalt,“ entgegnet der weise Mann und fährt fort: „Aber Vielfalt für sich kann sehr zersetzend und spannungsgeladen sein, wenn es nicht auf einer höheren Ebene einen gemeinsamen Fokus gibt. Erst dann können Synergien und Mehrwert entstehen.“

  • Organe arbeiten nicht gegeneinander, sondern miteinander

    Kambiz Poostchi holt etwas aus, um die Eigenheiten und Potenziale dieser Vielfalt darzulegen, die erst im Zusammenwirken in einem Ganzen ihre volle Kraft entwickeln kann: „Wir müssen zuerst das Große, das Ganze erfassen und über das Ganze bekommen die Teile ihre Funktion, ihren Platz, ihre Bedeutung. Das kann man mit den Organen des ganzen Körpers vergleichen. Sinn, Bedeutung, Wechselwirkung zwischen den Organen ist nicht durch einen Vergleich oder durch Wettbewerb zu erfassen. Erst wenn man den Organismus als Ganzes betrachtet, bekommt jedes Teilelement seinen Platz und wir erkennen die Bedeutung und Klarheit der Wechselwirkung untereinander und dass sie letztlich zum Wohl des gemeinsamen Ganzen zusammenarbeiten“ 

    Für sich allein, fasse ich zusammen haben sie keine Funktion. Poostchi legt noch nach: „Und im Wettbewerb schon gar nicht. Und es gibt auch nicht ein Organ als Benchmark für die anderen, dem sie nacheifern müssen. Erst wenn diese ‚Einheit in Vielfalt‘ bewusst erkannt und wahrgenommen wird und man sich danach ausrichtet, kann es überhaupt erst eine Menschheitskultur, eine menschliche Zivilisation geben. Derzeit haben wir nichts dergleichen“.

  • Die Bestimmung des Menschen

    „Der Sinn für das Ganze“, so lautet der Titel des Buches, in dem Kambiz Poostchi sein Open System Model umfassend darlegt. Der Untertitel ist Programm: Von der fragmentierten Gegenwart zur systemischen Zukunft. Auf den ersten Seiten legt Poostchi sein Menschenbild dar und liefert damit den Schlüssel zu seinem faszinierenden Gedankengebäude, das auf ethischen Prinzipien aufbaut. 

    „Wir weisen oft der materiellen Ausdrucksform Realität zu,“ steigt Poostchi in das Thema Menschenbild ein und führt zu einer frappierenden Erkenntnis über: „In Wirklichkeit ist die Idee die Realität. Eine Idee begeistert uns. Gäbe es die Idee nicht, würde nicht die Energie freigesetzt, die sie umsetzt“.

  • Trumpismus: In der Realität begegnen wir den Ausprägungen des Gegenteils, der Gier, dem Neid, dem arroganten America-oder-was-auch-immer-first. Foto: Polina Zimmermann, Pexels
  • „Für mein Menschenbild ist eine Metapher sehr inspirierend, die ich in den Bahá’i-Schriften gefunden habe,“ erläutert Poostchi, der dieser Religionsgemeinschaft angehört: „Darin wird jeder Mensch mit einem Bergwerk verglichen, reich an Edelsteinen von unschätzbarem Wert. Jeder Mensch, den wir treffen, ohne Ausnahme, trägt Edelsteine von unschätzbarem Wert in sich.“ 

    Ja!, jubelt es in mir, das schafft Energie und Zuversicht! Kambiz Poostchi bestätigt das: „Wenn man von so einem Bild ausgeht, ist jede Begegnung von Würde, Demut und Respekt geprägt. Das bringt auch mit sich, dass wir mitverantwortlich sind, diese Edelsteine ans Tageslicht zu bringen und sie zum Wohl der Menschheit nutzbar machen. Und ob ich jetzt an meinem bestmöglichen Selbst in Richtung Exzellenz arbeite oder andere darin unterstütze, dass sie wachsen, ist es immer ein Beitrag zur Bereicherung der Menschheitsfamilie. Und dort liegt die eigentliche Bestimmung des Menschen.“

    Das setzt ständiges Bemühen voraus, unterstreicht der Philosoph: „Wenn wir dort stecken bleiben, dass wir alles, was wir entwickelt haben, ob das jetzt materielle Güter sind, aber auch Wissen und Bewusstsein zu unserem persönlichen Vorteil verwenden, dann stagnieren wir wie eine Quelle, wenn das Wasser nicht mehr fließt. Das heißt in dem Maße, wie wir an uns selber arbeiten und uns weiterentwickeln, muss unsere wahre Bestimmung wirksam werden, dass wir unseren Beitrag zum Wohlstand der stetig voranschreitenden Gesellschaft, zu deren Veredelung in Form von Zivilisation und Kultur leisten.“

  • Auflösungsprozess mit einer Menge Krisen

    Das klingt alles stimmig und wunderbar, wer möchte nicht in so einer Welt leben? Aber in der Realität begegnen wir den Ausprägungen des Gegenteils, der Gier, dem Neid, dem arroganten America-oder-was-auch-immer-first. Für Kambiz Poostchi ist das nur logisch: „Was wir heute erleben, ist ein Zwillingsprozess. Bevor etwas Neues entsteht, muss das Alte aufgelöst werden und deswegen sind Zeiten der Veränderung immer Zeiten von Zwillingsprozessen. Das Alte löst sich auf und macht Platz für das Neue. Und wir erleben jetzt einen Prozess der Entropie, der Auflösung. Alle alten Muster, nicht mehr zeitgemäße Denkformen, soziale Formen, Strukturen sind in einem rasanten Auflösungsprozess und der ist gekennzeichnet durch eine stetig an Heftigkeit und Beschleunigung zunehmende Menge von Krisen.“

    Die Folgen sind evident. Poostchi: „Das führt dazu, dass sehr viele in eine Antihaltung gehen aber meistens, weil sie sich nicht umdrehen in Richtung Aufbauprozess. Und wenn wir aber trotzdem den Blick wenden, hin zum Aufbauenden, dann können wir auch unsere Energie in den Kanal einbringen, der tatsächlich an Reife, an Einheit, an Gemeinsamkeit und Zusammenwirken zunimmt, sowohl in der Beschleunigung als auch in den Dimensionen.“

    Ist also der dummdreiste Trumpismus, die autoritäre Endstufe des Kapitalismus, die rechtsautoritäre Welle nur ein Prozess des Ausgeisterns im Entropie-Prozess? Poostchi ist davon überzeugt: „Es sind sehr viele Menschen, die aus dieser Passivität und der gezüchteten Lethargie aussteigen und sagen: Nicht einfach konsumieren und warten, bis andere die Welt verbessern und ich bin dann der Nutznießer. Sie sagen: Ich möchte anpacken, möchte was bewirken. Persönlich erlebe ich sehr viele solche Menschen, es ist extrem ermutigend, wie viele es davon gibt. Vielleicht sind sie noch sehr fragmentiert unterwegs und sind sich dessen gar nicht bewusst, welche Kraft da im Aufbau ist.“

    Ein Gespräch mit Kambiz Poostchi öffnet den Zugang zum Bergwerk voller Edelsteine mit unschätzbarem Wert. Ich freue mich auf das Glitzern und Funkeln beim start.klar.-Abend im UFO.