Kultur | Kunst Meran

Zwischen Erde und Erbe

Künstlerische Positionen zu kolonialem Erbe und globaler Verbundenheit: die Ausstellung "Earthly Communities. The Invention of Europe" im Kunsthaus Meran.
Ivo Corrà
Foto: Ivo Corrà
  • Europa ist eine Erfindung. Sie ist für die Kolonialisierung Amerikas seit dem 15. Jahrhundert und für die heute noch deutlich spürbaren Auswirkungen verantwortlich. Diese Beziehung wird in der Ausstellung Earthly Communities. The Invention of Europe im Kunsthaus Meran aus diversen Perspektiven von Künstler*innen beider Kontinente erforscht und verhandelt.
    Die aktuelle Ausstellung im Kunsthaus Meran behandelt die Beziehung und den darin stattfindenden Austausch von Europa und Amerika, mit Fokus auf kolonialen Geschehnissen. Dabei wurden verschiedene Künstler*innen aus beiden Kontinenten eingeladen, ihre Werke zu dieser Thematik auszustellen. 
     

    Die Ausstellung Earthy Communities ist der zweite Teil der Ausstellungsreihe The Invention of Europe. Im ersten Teil ging es um Afrika, im dritten wird es um Asien gehen. 

  • Vorhang auf: Eine Arbeit von Etienne de France Foto: Ivo Corrà

    Den Grundgedanken für das Thema der Ausstellung liefert der kamerunische Philosoph Achille Mbembe, welcher in die irdische Gemeinschaft gleichermaßen die Toten, Lebenden, Tiere, Pflanzen, Gegenstände und Geister einbezieht. Er ruft dazu auf, in einer reparativen Praxis Beziehungen auf Augenhöhe und als gleichwertiger Teil dieser Gemeinschaft zu leben. Er spricht somit von einem antihierarchischen Ansatz, der zu einer Neuordnung der Welt auffordert. Mbembe meint dabei nicht die komplette Verwerfung der vergangenen und aktuellen Praxen, sondern, dass wir ausgehend vom Status quo, mit den bereits vorhandenen Ressourcen diesen Weg der irdischen Gemeinschaft einschlagen sollen. Die Künstlerin Alexandra Gelis, die eines ihrer Werke in Earthly Communities ausstellt, sagt dazu: Du bist ein wichtiger Teil deines Umfelds, aber du bist nicht das Zentrum. Es fanden schon unzählige von Beziehungen vor dir statt.
    Alexandra Gelis (*1975 Venezuela; lebt und arbeitet in Kolumbien, Costa Rica und Kanada) erörterte in einem Gespräch auch einen der wichtigsten Begriffe für die Ausstellung, nämlich Abya Yala. Er ist der Name für den Kontinent, den wir Amerika nennen und wird von vielen indigenen Gemeinschaften verwendet. Abya Yala kommt aus der Sprache der Guna (Panama und Kolumbien) und steht dem europäisch verliehenem Namen Amerika gegenüber, welcher nach dem italienischen Entdecker Amerigo Vespucci benannt wurde. Dadurch wurde dem Land das europäische Kolonisations- und Zivilisationsprojekt aufgedrängt, was mit Ausbeutung und Zerstörung von Gemeinschaften, Land und Kultur einherging.

  • Abya Yala oder AGUA: Namen sind dazu da, etwas zu benennen, es wiederzuerkennen, sich daran zu erinnern und Bedeutung zu verleihen, meint Alexandra Gelis. Foto: Ivo Corrà

    Die Verwendung des Begriffs Abya Yala ermöglicht indigenen Gemeinschaften die re-invention, also das Wiedergewinnen, -finden und -gestalten ihrer Legitimität und ihrer Daseinsberechtigung.
    Das Namen-Geben ist für Alexandra Gelis eines der zentralen Motive ihrer Arbeit. Namen sind dazu da, etwas zu benennen, es wiederzuerkennen, sich daran zu erinnern und Bedeutung zu verleihen. Sie nutzt das Kunstschaffen als einen offenen Raum, wo verschiedenes Wissen aufeinandertrifft und es interdisziplinär zu erforschen. Ihr Schaffen dient dabei gleichzeitig als Werkzeug der Kommunikation zu verschiedenen Gemeinschaften, Szenen, Natur und Umwelt während ihrer Feldarbeit, als auch im Ausstellungskontext Gedanken und Diskurse zu ermöglichen.  
    Das zeigt auch Alexandra Gelis´ Werk, das in Earthly Communities gezeigt wird. Es trägt den Namen AGUA: From River Pulse to Canopy´s Breath (2025). Dafür arbeitete sie monatelang am Fluss Vacilón in Costa Rica: „Ich verbringe sehr viel Zeit mit den Pflanzen, mit dem Fluss und mit dem Wasser, damit ich den Rhythmus des Ortes verstehen kann, an dem ich mich befinde. Der wichtigste Schritt in meiner Arbeit ist der langsame Prozess des Zuhörens, was sich zwischen den Zeilen verbirgt und dabei horizontale Begegnungen mit der Natur und seinen Einwohner*innen zu erleben. Es ist immer auch ein Prozess, der in mir selbst stattfindet und meine Art zu fühlen, zu sehen und Beziehungen zu knüpfen verändert.“ 

  • Eine Arbeit der Künstlerin Marilyn Boror Bor.: Die Gruppenausstellung Earthly Communities lädt dazu ein, über die weitreichenden Folgen europäischer Kolonialisierung indigener Gebiete Abya Yalas* seit dem 15. Jahrhundert nachzudenken. Foto: Ivo Corrà
  • In ihren Werken der aktuellen Ausstellung verwendet sie gefundene Pflanzen aus dem Flussbett des Vacilón, die entweder schon abgefallen waren oder als invasiv gelten. Diese verarbeitete sie zu langen Flächen, die an Papier erinnern und welche sie “Skins”, also die Haut des Flussbetts nennt. Sie sind ein Abdruck dessen, was im Flussbett liegt.
    Die Ausstellung begleiten verschiedene Soundinstallationen, wobei sie die Lautsprecher und Resonanzkörper ebenfalls selbst entwickelte und baute. In dieser Verflechtung vom Natürlichem und Ursprünglichem mit der menschengemachten Technik will sie auch Menschen als Teil des “wir” in das Kunstwerk einbauen.  
    In ihrem aktuellen Schaffen widmet sie sich den einheimischen Pflanzen Südtirols und ihre Namensgebung. Dabei sind ihre Namen Teil des Erkennens, Erinnerns, ihrer Identität und auch des Schutzes durch uns Menschen, denn Erinnerung geht immer auch mit Bewahrung einher. In Zusammenarbeit mit dem botanischen Garten Meran erforscht sie die Geschichte der einheimischen Pflanzen in ihrer Entwicklung, Evolution und Koexistenz mit anderen Pflanzen. Die Namen der Pflanzen in deutschen Dialekten, Ladinisch und Italienisch aus verschiedenen Gebieten in Südtirol sind der Gegenstand der Arbeit. Am 20. September wird eine Performance im Kunsthaus Meran stattfinden, wo sie ihre bisherige Arbeit zur Schau geben wird.
     

    Wieso erzählen wir Geschichte immer noch mit der Stimme der Menschen? Ich interessiere mich für die Geschichte, wie sie Pflanzen erzählen und ihre Beziehung mit verschiedenen Orten und Organismen.

  • Tavole della Maddalena: Eine Arbeit des Künstlers Luigi Coppola Foto: Luigi Coppola

    Einen weiteren Bezug zu Südtirol behandelt auch der Künstler Luigi Coppola (*1972 Diso, Italien; lebt und arbeitet im Salento, Italien) in seinem Werk Flows over Unities. Er verhandelt darin Fragen zu Monokultur, Ausbeutung, Ursprung und Entwicklung in Bezug auf die Landwirtschaft mit Fokus auf Südtirol. Gegenstand seiner Arbeit sind Samen lokal genutzter Pflanzen. Im Titel seiner Arbeit bezeichnet “Unities” das Eingreifen der Menschen in die Kreisläufe der Pflanzen und die Verbreitung von Monokulturen, mit dem ein großer Teil der Artenvielfalt verloren ging. Sein Gegenmodell “Flows” ist ein friedlicher Austausch, der alle Gemeinschaften im Wert des Vermischens und Tauschens bereichert. Die verschiedenen Sorten von Samen aus gleichen Arten sollen sich vermischen und dadurch mehr Vielfalt, vorteilhafte Eigenschaften und resistentere Pflanzen entstehen. Somit können z.B. im Anbau weniger Chemikalien eingesetzt werden. 
    In Zusammenarbeit mit BAU - Institut für zeitgenössische Kunst und Ökologie und Landwirt*innen aus dem Vinschgau und Burggrafenamt entwickelte er für die Verbindung zwischen Menschen, Nahrung, Natur und Wissenschaft in seinem Projekt drei Samen (Getreide, Tomaten und Äpfel). Bei einer Performance wurde damit Südtiroler Gerichte gekocht, welche man dann gemeinsam probieren konnte. In seinen Werken der Ausstellung stellt er die Methoden der Vermischung und die Entwicklung und Migration verschiedener Sorten Samen bis heute in Form von Bildern dar. 
    Die Ausstellung Earthy Communities ist der zweite Teil der Ausstellungsreihe The Invention of Europe. Im ersten Teil ging es um Afrika, im dritten wird es um Asien gehen. 

  • Die aktuelle Ausstellung ist noch bis 12. 10. 2025 im Kunsthaus Meran zu erleben.