Zwangsarbeit und grafisches Erbe
-
Die Ausstellung „Eingestellte Gegenwarten" ist ein emotionales und tiefgründiges Werk des Künstlers Franz Wanner, das sich mit der Ausbeutung durch nationalsozialistische Zwangsarbeit und ihrem Fortwirken bis in die Gegenwart auseinandersetzt. Wanner erklärt: „Zentrales Thema der Ausstellung ist die Zwangsarbeit im Nazismus in ihren gegenwärtigen Auswirkungen."
Den Ausgangspunkt bildet eine handgefertigte Plexiglas-Schutzbrille aus dem Konzentrationslager Sachsenhausen, die mutmaßlich aus Materialresten der Rüstungsindustrie hergestellt wurde und von einem Zwangsarbeiter oder einer Arbeiterin getragen wurde. „Diese Personen haben keine Nachkommen oder Spuren hinterlassen, deshalb war es für mich überzeugend, mit dieser Person, von der man gar nicht mehr erzählen kann, in die Ausstellung einzusteigen.“ Wanner sieht in dieser Brille auch eine Art des Widerstands und der Selbstbehauptung unter feindseligsten Bedingungen. -
Zur Person
Franz Wanner, geboren in Bad Tölz, lebt in München und Zürich. Er beschäftigt sich in seiner künstlerischen Arbeit mit Machtstrukturen und gesellschaftlichen Verdrängungsmechanismen. Dabei setzt er sich mit Themen wie dem deutschen Geheimdienst, der Rüstungsindustrie sowie den wirtschaftlichen und ideologischen Nachwirkungen des Nationalsozialismus in Deutschland auseinander.
-
Franz Wanner beschäftigt sich mit Machtstrukturen und gesellschaftlichen Verdrängungsmechanismen. Foto: Marion GamperDie Ausstellung zeigt, wie die Willkür des Nazismus eine systematische Ausbeutung beinhaltete, die auch über den Tod hinausging. Knochen, Zähne, Haare und Asche wurden für die NS-Volksgemeinschaft verfügbar gemacht, verwertet und genutzt.
„Ich gehe dabei auch von mir selbst und meiner Familiengeschichte aus."
Wanner betont, dass die Mehrheit der Bevölkerung Nazideutschlands an der Zwangsarbeit aktiv beteiligt war und daraus finanziellen Nutzen zog. „Ich gehe dabei auch von mir selbst und meiner Familiengeschichte aus. Meine Familie, das muss ich leider sagen, hat auch mit der Ausbeutungspraxis der NS-Zwangsarbeit zu tun. Diese Praxis war ein gesamtgesellschaftliches Phänomen. Die gesamte deutsche Gesellschaft hat sich daran aktiv und alltäglich beteiligt."
Die Ausstellung umfasst Fotografien, Texte, Filme und Objekte, die die Zwangsarbeit und ihre Auswirkungen auf die Gegenwart thematisieren. Wanner erweitert seine Perspektive auch auf Südtirol und thematisiert die „Operationszone Alpenvorland" und das Konzentrationslager in Meran. Das 1933 vom Unternehmen Röhm & Haas entwickelte Material Plexiglas steht im Zentrum der Schau. Mit der Serie Musterfolien verdichtet Wanner seine Recherchen zu klaren Text-Bild-Konstellationen: sachliche Fotografien menschenleerer Orte der Zwangsarbeit, kombiniert mit prägnanten historischen Fakten.
„AlpiTypes - Buchstaben, Bilder, Spuren"Die zweite Ausstellung im Kunsthaus Meran präsentiert das grafische Erbe der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts im grenzüberschreitenden Gebiet des historischen Tirols. Eine Gruppe von Studierenden des BA-Studiengangs Design und Künste an der Freien Universität Bozen hat in Co-Kuration mit Anna Zinelli von Kunst Meran die fehlenden Zeichen von historischen Schriftzügen rekonstruiert. Ausgangspunkt dieses Projektes ist die Analyse hochwertiger grafischer Produktionen aus der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts, die in Form von Plakaten, Büchern, Zeitschriften und anderen Druckerzeugnissen vorliegen.
In dieser Zeit entwickelte sich parallel zum aufkommenden Bergtourismus eine intensive Produktion von Reiseführern, Zeitschriften, Plakaten, Faltblättern und Postern. Die bis dahin dominierenden Serifenschriften wichen zunehmend den serifenlosen Schriftarten. Ausgehend von den im Original vorhandenen historischen Schriftzügen – oftmals nur fragmentarische oder unvollständige Alphabete – rekonstruierte die Gruppe die fehlenden Zeichen mit großer Präzision. Begleitend zur Ausstellung sind vertiefende Gespräche und Workshops für ein breites Publikum geplant.
Die Ausstellungen und das Kunsthaus Meran„Eingestellte Gegenwarten, Bilder einer Ausstellung von Franz Wanner" wurde von Kristina Kreutzwald und Martina Oberprantacher kuratiert, „AlpiTypes, Buchstaben, Bilder, Spuren" von Antonio Benincasa, Massimo Martignoni und Anna Zinelli.
Die beiden Ausstellungen sind vom 25. Oktober 2025 bis 16. Januar 2026 zu besichtigen. Das Kunsthaus Meran ist ein Ort, an dem zeitgenössische Kunst und Architektur ausgestellt, vermittelt, diskutiert und reflektiert werden. Als eine der ältesten und aktivsten Institutionen in der Region, ist Kunst Meran insbesondere für die Produktion von Kunst und die Diskursförderung bekannt. Kunst Meran ist ein gemeinnütziger Kunstverein, der 1996 gegründet wurde.
Weitere Artikel zum Thema
Arts | ArtstoreRitual, Natur und Aufruhr
Culture | 24 Stunden MuseionRund um die Uhr
Stimme zu, um die Kommentare zu lesen - oder auch selbst zu kommentieren. Du kannst Deine Zustimmung jederzeit wieder zurücknehmen.