Gesellschaft | SALTO Gespräch

„Das Wegschauen überwiegt noch“

Seine Kanzlei ist deutschlandweit für die Aufklärung sexuellen Missbrauchs bekannt. Ulrich Wastl über sein Mandat der Diözese Bozen-Brixen und die Angst vor Machtverlust.
Ulrich Wastl
Foto: WSW
  • SALTO: Herr Wastl, wieso hat sich Ihre Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) neben Ihren sicherlich zahlreichen weiteren anwaltlichen Aktivitäten der Aufklärung von sexuellem Missbrauch in der Kirche angenommen?

    Ulrich Wastl: Wir sind Anwälte und wenn Menschen zu uns kommen, die Hilfe oder Rat brauchen, dann werden wir für sie tätig. Im Jahr 2010 kam eine Erzdiözese aus Deutschland auf uns zu, schilderte uns das Problem des sexuellen Missbrauchs. Man erklärte uns, dass man schnellstmöglich wissen will, welche Vergehen existieren und wie man damit umgehen soll. Nachdem wir seit über 30 Jahren interne Ermittlungen in Unternehmen durchführen, komplexe Sachverhalte schnellstmöglich aufarbeiten können und auch in der Lage sind, Lösungsmodelle zu präsentieren, haben wir dieses Mandat angenommen und unser erstes Gutachten erstellt. Weitere folgten.

    „Wir werden alles, was sie sagen, vertraulich behandeln.“ 

    Und was haben Kirchen davon, wenn Sie Skandale aufdecken und Gutachten in der Öffentlichkeit präsentieren?

    Wenn diese Gutachten gänzlich unabhängig erstattet werden, können sich die Kirche beziehungsweise der jeweilige Auftraggeber zu jenen wenigen Institutionen zählen, die sich wirklich um die Aufklärung sexuellen Missbrauchs von minderjährigen und schutzbedürftigen Personen bemühen. Sie gewinnen damit eine enorme Glaubwürdigkeit. Soweit ich das weltweit bislang feststellen konnte, ist das Thema sexueller Missbrauch nur von einigen kirchlichen Institutionen richtig aufgeklärt worden. Anfänge sind in Österreich, Deutschland, Spanien, Portugal, in den Niederlanden, Frankreich und in den USA gemacht worden. Staatliche Aufarbeitungsprojekte gab es in Australien und Irland. Darüber hinaus sind für mich keine weiteren Bemühungen ersichtlich. 

    Hat der Vatikan dabei auch selbst die Initiative ergriffen?

    Das ist ein weites Feld, um es mal juristisch zu sagen. Jedenfalls ist der Vatikan nicht in dem Umfang tätig geworden, wie man sich das aus heutiger Sicht wünschen würde. 

    Auch nicht unter Papst Franziskus?

    Unter dem neuen Papst hat sich vieles verbessert, aber es ist noch Luft nach oben.

  • Ulrich Wastl: „Wir hoffen darauf, dass man mit uns spricht, um uns bei der Erforschung der Sachverhalte weiterzuhelfen und zum Gelingen des Projekts beizutragen.“ Foto: WSW

    Mit welchem Widerstand sind Sie als Anwalt bei Ihrer Arbeit in diesem Bereich konfrontiert?

    Mit Widerständen müssen Sie bei derartigen Dingen natürlich immer rechnen. Institutionen, ob Unternehmen oder Kirche, sind wie jeder Organismus, der sich dem Vorwurf ausgesetzt sieht, etwas falsch gemacht zu haben. Dieser Organismus besteht aus Personen und Personen haben entweder etwas falsch gemacht oder haben Angst, dass man ihnen vorwerfen könnte, etwas falsch gemacht zu haben. Alleine daraus entstehen Widerstände, das ist ganz menschlich und das würde ich noch nicht als große Hürde bezeichnen. 

    „Es sind schrecklichste Geschehnisse passiert, die ein ungeheures Leid verursacht haben.“ 

    Aber?

    Darüber hinaus gibt es insbesondere in der Kirche einen Kampf zwischen zwei Lagern, der nach wie vor existiert. Ein Lager versteht den Beweggrund hinter der Aufklärung nicht, oder will sie kategorisch nicht, weil die Institution und deren und damit auch die jeweilige persönliche Macht gefährdet werden. Das andere Lager sieht sich in der Pflicht aufzuklären, um die Glaubwürdigkeit nicht gänzlich zu verlieren und überhaupt erst in der Lage zu sein, sie wieder zurückzugewinnen. Vor allem aber um den Betroffenen und ihrem Leid gerecht zu werden und dieses anzuerkennen.

    Was können sich die Betroffenen erwarten, wenn sie sich an Ihre Kanzlei wenden?

    Wir werden alles, was sie sagen, vertraulich behandeln. Kirchliche Institutionen werden davon nichts erfahren, außer die betroffene Person wünscht es. Sie können erwarten, dass sie gehört und ihre Schicksale, ihr Leiden, ernst genommen werden. Sie werden mit ihren Aussagen – das gilt auch für Zeitzeugen – maßgeblich zur Aufklärung beitragen. Denn so kann unser Gutachten für die Diözese Bozen-Brixen sich der Wahrheit annähern, sofern das in diesem komplexen Sachverhalt überhaupt möglich ist. 

    Gehen Sie im Zuge der Aktendurchsicht der Diözese Bozen-Brixen auch auf Betroffene zu?

    Betroffene unterliegen häufig der Gefahr, retraumatisiert zu werden. Es verbietet sich deshalb für uns von selbst, Betroffene, deren Namen wir in den Akten finden, persönlich anzurufen. Wir gehen nicht direkt auf Betroffene zu, sondern unterbreiten Gesprächsangebote. Wir hoffen darauf, dass man mit uns spricht, um uns bei der Erforschung der Sachverhalte weiterzuhelfen und zum Gelingen des Projekts beizutragen. 

    Welche Ziele verfolgt das Präventionsprojekt der Diözese Bozen-Brixen?

    Im Allgemeinen ist das Präventionsprojekt erst der letzte Schritt. Die ersten beiden Schritte davor sind die Aufklärung, womit wir uns derzeit befassen, und die Aufarbeitung, die wir auch teilweise mit unseren Erfahrungen unterstützen. Die Königsdisziplin für die Zukunft ist es, aufbauend auf den gewonnenen Erkenntnissen ein möglichst sicheres Präventionssystem zu entwickeln. 

  • Aufarbeitung von sexuellem Missbrauch in der Südtiroler Kirche: Die Diözese Bozen-Brixen hat die renommierte Kanzlei Westpfahl Spilker Wastl (WSW) letztes Jahr damit beauftragt. Foto: Babak Habibi/Unsplash
  • Geht es auch darum, dass die Betroffenen eine Art Wiedergutmachung erfahren?

    Aus unserer Erfahrung reagieren Betroffene sehr positiv darauf, dass ihre Geschichte und ihr Leid endlich anerkannt werden. Es sind schrecklichste Geschehnisse passiert, die ein ungeheures Leid verursacht haben. Worauf es den Betroffenen unserer Erfahrung auch ankommt, ist, dass sie endlich wissen, wer in der Hierarchieebene dafür verantwortlich ist, dass derartige Täter überhaupt tätig werden konnten. 

    Das klingt nach einer Kultur des Wegschauens. 

    Eine solche Kultur herrschte bis zu einem gewissen Zeitpunkt in hohem Maße, mindestens bis 2010. Sie herrscht aber meiner Einschätzung nach teilweise heute noch. Das beziehe ich jetzt nicht auf die Diözese Bozen-Brixen, sondern es gibt weltweit noch viele weiße Flecken. Ich möchte allerdings betonen, dass es ein gesamtgesellschaftliches Problem ist, dass das Wegschauen noch überwiegt. Was für jemanden, der sich mit sexuellem Missbrauch insbesondere von Minderjährigen beschäftigt, ein trauriges Ergebnis ist. Zumal im Jahr 2024!

    „Wenn ich den vergleichenden Blick beispielsweise nach Italien wende, muss ich sagen, es ist in Deutschland schon sehr viel passiert.“ 

    War das Jahr 2010 ein Wendepunkt?

    Zu diesem Zeitpunkt konnte man in Deutschland die Augen nicht mehr verschließen. Damals wurde in einer Jesuitenschule erstmals öffentlich gemacht, dass sexueller Missbrauch in erheblichem und systematischem Umfang stattgefunden hat. Daraufhin wurden intensive Diskussionen geführt. Heute kann man davon ausgehen, dass systemische Ursachen derartige Dinge ermöglichten. Das war ein langer schmerzlicher Prozess in Deutschland, der noch lange nicht abgeschlossen ist. 

    Gibt es hier Unterschiede zwischen der katholischen und protestantischen Kirche?

    Das ist gerade in Deutschland ein heikles Thema. Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) hat im Jahr 2024 eine Studie zu sexuellem Missbrauch vorgelegt. Die erste Frage, welche die EKD beantworten muss, lautet, warum erst im Jahr 2024? Ich habe noch keine schlüssige Antwort darauf gehört, schon gar nicht aus dem evangelischen Lager. Die zweite Frage zu der Studie betrifft die Akten, die den Wissenschaftlern erst gar nicht vorgelegt wurden. Diese Fragen werden in Deutschland derzeit sehr stark diskutiert, insbesondere in der evangelischen Kirche. Entbinden Sie mich bitte von der Antwort, für wie gelungen ich die teilweise grotesken Diskussionsbeiträge dort bewerte. 

    Kürzlich kritisierten Sie in den deutschen Medien die von der bayerischen Staatsregierung eingerichtete Anlaufstelle für Opfer von Missbrauch und sexualisierter Gewalt. Woran hakt es?

    Wenn ich den vergleichenden Blick beispielsweise nach Italien wende, muss ich sagen, es ist in Deutschland schon sehr viel passiert. Dass man sich natürlich mehr wünscht, ist eine andere Geschichte. Wir haben damals (nachdem das Gutachten der Kanzlei WSW zum Erzbistum München und Freising 2022 veröffentlicht wurde, Anmerkung d. R.) eine gänzlich unabhängige Ombudsstelle gefordert, heute würde ich sie völlig unabhängige Repräsentanz für Betroffene nennen. Sie soll es ermöglichen, dass Betroffene mit der Kirche auf Augenhöhe in Kontakt treten und verhandeln können. Dafür wäre neben der völligen Unabhängigkeit von der Kirche auch eine entsprechende finanzielle Ausstattung notwendig. Beides kann ich in Bayern bis heute nicht feststellen. Dass die eingerichtete Anlaufstelle nicht unseren Empfehlungen entspricht, kann jeder nachvollziehen, der einmal bei dieser Stelle angerufen hat.  

  • Das Projekt

    Die Rechtsanwälte Westpfahl Spilker Wastl (WSW) haben im November 2023 mit den Arbeiten zur Aufklärung von Fällen sexuellen Missbrauchs in der Diözese Bozen-Brixen begonnen. Ergebnisse der ersten Aktensichtung liegen nun vor. Der finale Bericht soll zu einem späteren Zeitpunkt im Rahmen einer Pressekonferenz der Öffentlichkeit präsentiert werden. 

    „Rechtsanwalt Dr. Ulrich Wastl und generell WSW freuen sich auf Ihre Kontaktaufnahme. Sie können mit Ihren Informationen und Ihrer Geschichte zur Aufklärung sowie dazu beitragen, dass unser Gutachten möglichst realistisch und der Wahrheit entsprechend veröffentlicht werden kann“, teilt die Kanzlei in einer Mitteilung an die Medien mit. 

    Die Daten für eine erste Kontaktaufnahme:

    E-Mail-Adresse 

    [email protected]

    Telefon 

    +49 89 290375-12 (Sekretariat, Sabine Ratta, zweisprachig deutsch/italienisch, Montag bis Freitag von 8:30 bis 12:30 und 13:30 bis 17:30 besetzt) 

    Postanschrift 

    Persönlich/Vertraulich/Verschlossen 

    Rechtsanwalt Dr. Ulrich Wastl 

    c/o Westpfahl Spilker Wastl 

    Rechtsanwälte Partnerschaft mbB 

    Widenmayerstraße 6 

    80538 München 

    Deutschland 

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Profil für Benutzer Josef Fulterer
Josef Fulterer Mo., 26.02.2024 - 05:52

So wie die Pfarrer um 1500 aus dem Bischofs-Sitz in die Pfarreien hinaus verjagt wurden, ist auch die störrische Zunft der ständig dem Pabst in den Rücken fallenden + mehr als überflüssigen Kardinale (die geistigen Kalkbergwerke) aus dem Vatikan zu vertreiben!

Mo., 26.02.2024 - 05:52 Permalink