Wirtschaft | Wohlstand

„Medien sind Teil des Problems“

Für den Gründer des Wirtschaftsmagazins „Surplus“ kommen die Interessen der Mehrheit in der Öffentlichkeit zu kurz. Warum das so ist, erklärt Lukas Scholle im Interview.
Lukas Scholle
Foto: Brumaire Verlag
  • SALTO: Herr Scholle, mit welchen Argumenten haben Sie es geschafft, Autoren wie Thomas Piketty von Ihrem Magazin zu überzeugen? 

    Lukas Scholle: Mit unserem Anliegen: Wir machen ein Wirtschaftsmagazin, das die Interessen der großen Mehrheit ins Zentrum stellt. Da ist die Lücke offensichtlich. Denn derzeit gibt es vor allem Wirtschaftsmagazine in Deutschland, die aus der Perspektive der Manager und Unternehmer schreiben – oftmals zulasten der großen Mehrheit. 

     

    „Nicht Schulden lasten auf der kommenden Generation, sondern kaputte Infrastruktur und eine fortschreitende Klimakrise.“



    Woran liegt das? 

    Wir sehen eine große Verschiebung der wirtschaftlichen Debatte. Das reicht von der Gesellschaft über die Politik bis zu den Medien. Jene, die neoliberale Ansätze verfolgen, also Steuern für die Reichsten senken wollen, den Staat und die Löhne gering halten, haben die Oberhand gewonnen. Wir stellen dem etwas medial entgegen – denn manche große Medien sind in dieser Frage eher Teil des Problems. 

    Inwiefern?

    Wir sehen eine Verengung des Debattenraums. So gab es in deutschen Medien einen Überbietungswettbewerb von Ökonomen, wie stark die Steuern für Konzerne gesenkt werden sollten, ganz unbeachtet der ganzen Nachteile. Fortschrittliche Ideen, wie Steuererhöhungen für Vermögende, bekommen hingegen viel weniger Raum. Und damit reproduzieren die Medien natürlich neoliberale Mythen. 

  • Lukas Scholle: „Fortschrittliche Ideen, wie Steuererhöhungen für Vermögende, bekommen hingegen viel weniger Raum.“ Foto: Brumaire Verlag
  • Was meinen Sie mit neoliberalen Mythen genau?

    Das ist eine Politik, die die Interessen der Reichsten ins Zentrum rückt. Die Hoffnung liegt darin, dass durch weniger Steuern für die Reichsten der Wohlstand nach unten sickert. Das hat schon in den letzten Jahrzehnten nicht funktioniert. Trotzdem brachte Deutschland gerade die größte Steuersenkung für Unternehmen seit zwei Jahrzehnten auf den Weg. Das führt auf der einen Seite zu massiven Entlastungen für Milliardäre und auf der anderen Seite natürlich zu Ausfällen im Staatshaushalt. Wenn gleichzeitig die Schuldenbremse gilt, führt das zu Kürzungen der Sozialleistungen und die Ärmsten werden ärmer. Da sickert also nichts nach unten – sondern viel mehr nach oben.

    Der Regierungswechsel mit Friedrich Merz (CDU) ist also schon spürbar…

    Auf jeden Fall: Für die Reichsten gibt es Entlastungen und für die Ärmsten Kürzungen. Beides ist fatal. Ähnlich ist es bei den Schulden. Deutschland hat pauschal Verteidigungsaugaben von der Schuldenbremse ausgenommen. Doch die Zinsen führen beim Einhalten der Schuldenbremse auf den Staatshaushalt und führen zu weiteren Kürzungen. 

  • Über Surplus

    Das neue Wirtschaftsmagazin Surplus mit Sitz in Berlin wurde von Lukas Scholle Anfang des Jahres gegründet und will weltweit führende ökonomische Denkerinnen und Denker zusammenbringen. Scholle hat Volkswirtschaftslehre an der Freien Universität Berlin studiert und war im Anschluss Referent für Wirtschafts- und Finanzpolitik im Deutschen Bundestag, nun leitet er als Chefredakteurin das Magazin. Es erscheint online mit Texten, Videos und Podcasts, zweimonatlich als gedrucktes Magazin im Brumaire Verlag.

  • Foto: Brumaire Verlag

    Wie stehen Sie zur Schuldenbremse in Deutschland?

    Wir haben gerade eine Expertenkommission in Deutschland zur Reform der Schuldenbremse, in der auch die Surplus-Herausgeberin Isabella Weber sitzt. Man kann nur hoffen, dass es eine weitreichende Reform gibt. Ansonsten droht eine historische Kürzungswelle in Deutschland ab 2027. Wir zeigen bei Surplus einerseits Argumente, warum das fatal wäre. Aber auch, warum zum Beispiel Schulden gar nicht auf der kommenden Generation lasten, sondern kaputte Infrastruktur und eine fortschreitende Klimakrise. 

    Das klingt nachvollziehbar, aber wie sollen die Schulden gedeckt werden?

    Das ist tatsächlich kein Problem, weil ein Staat im Gegensatz zu einem Privathaushalt immer neues Geld schöpfen kann. Wenn ihn keine neoliberalen Rahmenbedingungen daran hindern, dann können die Schulden einfach umgeschuldet werden. Das funktioniert natürlich nicht im luftleeren wirtschaftlichen Raum, sondern hängt von den Rahmenbedingungen ab. Aber kaum ein Land ist dafür angesichts der wirtschaftlichen Unterauslastung besser geeignet. 

     

    „Ansonsten droht eine historische Kürzungswelle in Deutschland ab 2027.“

     

    Europa ist mit Trumps Zollpolitik konfrontiert und EU-Länder wie Deutschland wollen mehr Soldaten rekrutieren – müssen wir uns auf noch größere Krisen einstellen? 

    Wir sehen gerade eine zunehmende Krisenhaftigkeit im Kapitalismus. Deswegen fordert zum Beispiel unsere Herausgeberin Isabella Weber auch ein breiteres wirtschaftspolitischen Werkzeugkasten, um die Krisen besser vorzubeugen und zu begegnen. So konnte zum Beispiel in der Energiepreiskrise weder den Bürgern Geld ausgezahlt werden, um die Wirtschaft am Laufen zu halten, noch in die Preise eingegriffen werden, um den Schock abzumildern. Beides wäre aber nötig gewesen, um die wirtschaftlichen Folgen abzumildern. Genau diesen Ansätzen und Argumenten wollen wir bei Surplus Raum geben, sodass die Interessen der großen Mehrheit im Zentrum stehen.  

  • Medien, Macht und Demokratie

    Darum geht’s auch in den diesjährigen Toblacher Gesprächen vom 26. bis 28. September. Mit renommierten Gästen aus Wissenschaft und Journalismus wird darüber diskutiert, wie Medien das Vertrauen ihres Publikums zurückgewinnen können. SALTO wird dabei sein, um unter anderem mit der Journalistin Julia Tappeiner eine Arbeitsgruppe zum Thema ‚konstruktivem Journalismus‘ zu leiten. Zusätzlich werden wir uns im September intensiv mit diesem Thema befassen - mit Interviews, Artikeln und anderen Beiträgen.