Selbst ist die Stadt
Es ist eine heißer Winter in Bozen. In etwa vier Monaten stehen die Neuwahlen zum Gemeinderat an. Noch ist ungewiss, nach welchen Regeln gewählt wird – ob mit dem bisherigen Wahlgesetz oder einem neuen. Sepp Nogglers Reformentwurf geht am Freitag im Regionalrat in die zweite Runde. Genauso wenig sicher ist, welche Parteien, Listen oder sonstige Bewegungen mit welchen Kandidaten und in welchen Konstellationen zu den Wahlen antreten werden. Noch ist man am Sondieren, Beraten und Taktieren. Doch inzwischen ist der Bozner Vorwahlkampf um einen Player reicher. Unter dem vorläufigen Namen “BolzaniniBozner” hat sich in den vergangenen Wochen und Monaten eine Gruppe von Personen formiert, die den 78.000 Wahlberechtigten in der Landeshauptstadt eine absolute Neuheit (an-)bieten wollen: “die Selbstregierung der Stadt durch die Bürgerinnen und Bürger”.
Nach Grödner Vorbild
Ganz so neu ist die Idee, die hinter der Initiative steckt, nicht: die Bürger nominieren die Personen, die sie als geeignete Kandidaten für die Gemeinderatswahlen erachten selbst; erklären sich diese bereit, tatsächlich anzutreten, tun sie dies auf einer einzigen Liste – einer Einheitsliste. Beispiele, wie das auf lokaler Ebene funktionieren kann, gibt es etwa aus Österreich. Erfolgreich hatten es zuletzt auch die St. Ulricher gezeigt, die am 15. November 2015 Tobia Moroder zum Bürgermeister wählten. Er war wie die Mehrheit der neuen Gemeinderäte im größten Ort des Grödnertals für die Bewegung “Per la Lista unica” gewählt worden. Und es ist die Erfahrung aus St. Ulrich, die die elf Promotoren in Bozen darin bekräftigt hat, auch dort das Experiment “Einheitsliste” zu wagen. Am Anfang stand die Überlegung: “Was kann man in dieser verfahrenen Situation machen?” einiger um ihre Stadt besorgte Bürger.
Stetig sinkende Wahlbeteiligung, gepaart mit Unfähigkeit und fehlender Bereitschaft der bisherigen Stadtregierungen, ihre Entscheidungsmacht mit den Bürgern zu teilen, hätten dazu geführt, dass viele Menschen keine Erwartungen mehr an die Politik der Parteien haben, so der Vorwurf. “Wir haben Sorge, dass unsere Stadt immer mehr zum Spielball rücksichtsloser Machtinteressen wird und das Wohl aller Bürger in der Stadtentwicklung keine Rolle mehr spielt”, schreiben die “BolzaniniBozner” in einer Aussendung.
Mit- statt gegeneinander
Ihr Rezept, um Parteienherrschaft und Politikverdrossenheit in der Stadt beizukommen? Ideologische Positionen und Partikularinteressen beiseite schieben und ein anderes Demokratieverständnis unter die Menschen und in die Politik bringen. Einer der elf Initiatoren der Einheitsliste für Bozen ist Stephan Lausch, Koordinator der Initiative für mehr Demokratie. Diese steht den Promotoren beratend zur Seite. “Die Einheitsliste wirkt auf den ersten Blick totalitär, weil es eben nur eine Liste gibt”, sagt Lausch. Die Idee dahinter sei aber eine andere. Nämlich, “den Parlamentarismus in seinen Grundgedanken zu realisieren”. Dazu brauche es einerseits einen Gemeinderat, in dem Personen mit all ihren Unterschieden versuchen, in wichtigen Fragen und Themen einen Konsens zu finden. So wie das Beispiel St. Ulrich zeigt, wo Tobia Moroder trotz satter Mehrheit im Gemeinderat die Zusammenarbeit mit den anderen beiden Parteien gesucht und auch gefunden hat. “Es soll nicht mehr gegeneinander gearbeitet oder mit Machtpositionen Mehrheiten durchgesetzt, sondern Lösungen gefunden werden, die auf einem breiten Konsens beruhen”, so Lausch.
Auf der anderen Seite würden Instrumente der Direkten Demokratie benötigt, die es den Bürgerinnen und Bürgern ermöglichten, zu verifizieren, ob die im Gemeindearbeit ausgearbeitete Lösung eine für sie akzeptable sei. “Direkte Demokratie zur Kontrolle, aber auch, um selbst Initiative zu ergreifen”, erklärt Lausch die zugrunde liegende Idee, durch die “die Stadtpolitik neue Formen der Selbstregierung der Bürgerinnen und Bürger entwickeln und verwirklichen kann”.
Es braucht viel Willen
“Das Wesentliche an der Sache ist aber”, erklärt Lausch, “dass die Bürgerinnen und Bürger selbst jene Personen nominieren, die sie dann bei den Wahlen als Kandidatinnen und Kandidaten wählen möchten”. Dazu soll allen Wahlberechtigten ein Brief mit der Aufforderung, an den Vorwahlen teilzunehmen, zugestellt werden. Die Nominierungen sollen dann online oder in Papierform möglich sein. Beschränkungen, welche Namen genannt werden können, gibt es keine. Daher könnte es durchaus passieren – wie es auch in St. Ulrich der Fall war –, dass Personen unter den am häufigsten Nominierten landen, die bereits in Parteien oder anderen politischen Bewegungen tätig sind. “Es liegt dann an ihnen zu entscheiden, ob sie bereit wären, auf einer Einheitsliste zu kandidieren”, so Lausch, “oder doch lieber mit dem Vertrauensbonus, der ihnen geschenkt wird, in der eigenen Partei aufzutreten”.
Wer sich schließlich für eine Kandidatur auf der Einheitsliste entscheide, verpflichte sich damit jedenfalls “zur Neugründung der Demokratie, basierend auf Partizipation”. Was würde nun aber passieren, wenn etwa ein Luis Durnwalder die meisten Nominierungen bekommen würde? “Das kann durchaus passieren”, so die Antwort. Problem wäre das allerdings keines, denn Lausch glaubt nicht daran, dass Durnwalder überhaupt bereit wäre, diese “andere Art von Politik” überhaupt zu vertreten.
die Promotoren der Initiative:
Luigi Scolari, Roberto Pompermaier, Otto von Aufschnaiter, Claudio Campedelli, Erwin Demichiel, Luca Fazzi, Alessandro Gabanella, Klaus Griesser, Stephan Lausch, Elena Pallaver, Thomas Vaglietti
Ob die Idee der Einheitsliste auch in Bozen funktionieren wird, wo doch ganz andere Voraussetzungen als im kleinen St. Ulrich herrschen – man erinnere sich etwa daran, dass bei den Wahlen vergangenen Mai in St. Ulrich nur eine einzige Partei angetreten war, während es in Bozen zur gleichen Zeit derer 19 waren –, wird sich zeigen. Lausch ist vorsichtig optimistisch: “Viele haben genug vom Gezänk der Parteien und deren Machtpolitik, aber gleichzeitig keine Vorstellung, wie es anders funktionieren könnte.” Eine Alternative, nämlich die Einheitsliste, wollen deren Promotoren im Rahmen von offenen Bürgerversammlungen der Bevölkerung präsentieren. Nach der offiziellen Vorstellung der Initiative am heutigen Montag Mittag, finden am 27. und 28. Jänner zwei Treffen statt – einmal im Europasaal (Beginn 20 Uhr), und einmal im Saal des Pfarrheims Bozen (Beginn 19 Uhr). Dort will man einmal grundsätzlich schauen, ob das Interesse und die Voraussetzungen für eine Einheitsliste gegeben sind. Falls nicht, hat man es zumindest versucht. “Zu probieren ist es aber auf alle Fälle”, so die Devise. Und sollte am Ende keine Einheitsliste zustande kommen, “war es schon wertvoll, den Menschen einmal eine andere Vorstellung von Demokratie nahe zu bringen”, meint Lausch.
Lausch macht hier einen
Lausch macht hier einen groben Fehler zu glauben dass sich das Modell von St. Ulrich auf Bozen übertragen lässt. So hat Bozen genau das gegenteilige Problem von St. Ulrich und zwar ein Überangebot an Wahlmöglichkeiten. Daraus kann höchstens eine Minifraktion entstehen, denn kaum jemand kann ernsthaft glauben dass diese Liste eine Unterstützung auf breiter Ebene erhalten wird, was Voraussetzung für einen Einheitslisten-Charakter wäre.
Nebenbei Frage ich mich wie das schon eine Selbstverwaltete Liste sein soll, wenn inhaltliche Weichen von den Promotoren und nicht durch Abstimmung der Basis gesetzt werden:" zur Neugründung der Demokratie, basierend auf Partizipation”
Dass sich dahinter das Händchen von Lausch verbergt der die Quadratur des Kreises versucht parteipolitisch mitzumischen und es doch wieder nicht zu tun müsste allen klar sein.
Ich sehe in der ganzen Aktion mehr Gefahr sich politisch zu verbrennen, als reelle Aussichten im Bereich der direkten Demokratie weiter zu kommen.
Schade, denn das Lichtchen der Initiative für mehr Demokratie hatte schon so lange gebrannt.
Antwort auf Lausch macht hier einen von gorgias
Wir übertragen nicht das
Wir übertragen nicht das Modell von St. Ulrich auf Bozen, sondern haben das Modell der Bürgernominierung als Idee und politisches Konzept entworfen und dann, unabhängig von uns, in St. Ulrich angewandt erfahren dürfen. Zuallererst ist es ein ganz einfacher Versuch, die politische Vertretung aus dem Ausschließlichkeitanspruch der Parteien zu lösen. Alle Bürgerinnen und Bürger sollen die Möglichkeit haben, KandidatInnen zu nominieren, nicht nur dann - und auch dann nur in den seltensten Fällen -, wenn sie sich zu Parteien zusammenschließen. Das ist genau so, wie wir für die Bürgerinnen und Bürger die gleiche Entscheidungsmacht fordern, wie sie die politische Vertretung hat. Ob der Versuch, dieses Konzept in Bozen anzuwenden, helfen kann, die politischen Probleme der Stadt zu lösen, wissen wir nicht. Wichtig erscheint mir, den Anspruch der Bürgerinnen und Bürger herauszufordern, dass mit ihnen regiert werden oder besser noch, dass Demokratie endlich zur Selbstregierung der Bürgerinnen und Bürger werden muss: alles für sie und mit ihnen, nichts gegen sie! Ob das Projekt starten kann, werden wir erst sehen. Es setzt entschiedenes Interesse von Bürgerinnen und Bürgern der Stadt voraus und die Bereitschaft von vielen, daran mitzuarbeiten. Wichtig ist aber allemal, sollte eine solche Liste auch nicht zustandekommen, dass ein anderes Verständnisses von Demokratie vermittelt worden sein wird. Dass eine solche Liste mit der Selbstverpflichtung auftreten muss, alles zu tun, damit Politik nach diesem Verständnis funktioniert (Zusammenarbeit statt Parteienkonkurrenz, Überwindung von Kontrapostion von Mehrheit und Opposition, Teilen von Macht mit den Bürgern, anstatt diese allein für sich als politische Vertretung zu beanspruchen, die Lösungsmöglichkeiten der gesellschaftlichen Fragen in der Gesellschaft sehen und aktivieren und nicht in einer eigeninteressierten Elite usw.), scheint mir selbstverständlich. Das Mindestprogramm, aber eben das alles entscheidende, ist die Methode der politischen Arbeit, die man praktizieren will.
Nachdem wir zwanzig Jahre lang versucht haben, nur direktdemokratisch unsere Überzeugungen weiter zu bringen und dabei meinen gelernt zu haben, dass es für einen Durchbruch auch eine andere politische Vertretung braucht, Menschen mit einer anderen politischen Grundhaltung als sie jene haben, die ihre politische Existenz den Parteien verdanken, scheint es folgerichtig, sich mit der Frage auseinanderzusetzen, wie parlamentarische Demokratie anders, besser funktionieren kann, dass wir uns eben um die gesamte Demokratie kümmern, diese neu denken müssen und nicht nur um deren eine Hälfte. Warum sollten wir uns verbrennen? Die Initiative wird nicht zur Liste, sie erhebt keinen Vertretungsanspruch, sie hat nur die Möglichkeit bekommen, ein von ihr entwickeltes Konzept anzuwenden, so wie sie solche im Bereich der Direken Demokratie wahrgenommen hat. Das Lichtchen würde viel eher Gefahr laufen zu verglimmen, wenn sie nicht den Mut hätte, neue Wege zu beschreiten, ohne ihre Grundüberzeugungen zu verraten.
Da wird so wie ganz
Da wird so wie ganz selbstverständlich vorausgesetzt, dass wissen was und wo der "Europasaal (Beginn 20 Uhr)" ist. Ist mir gänzlich ungeläufig!
Antwort auf Da wird so wie ganz von Sepp.Bacher
soll heißen ........., das
soll heißen ........., das man wissen muß was und wo ...........
danke für den Hinweis, Sepp!
danke für den Hinweis, Sepp!
Mercoledì 27/1 dalle ore 20.00 alle ore 22.00 presso la sala Europa, via del Ronco 11, Bolzano (indicazione sul marciapiede) -
am Mittwoch, den 27. Jänner von 20 bis 22 Uhr im Europasaal, Neubruchweg 11 (Hinweistafel am Gehsteig)
e/und
Giovedì 28/1 dalle ore 19.00 alle ore 21.00 presso la sala grande del Centro Parrocchiale, Piazza della Parrocchia 24 (accesso da via Isarco) a Bolzano -
am Donnerstag, den 28. Jänner von 19 - 21 Uhr im Saal des Pfarrheims Bozen, Pfarrplatz 24 (Zugang von der Eisackstraße).