Grödner Demokratie-Baustelle
An die vergangenen Gemeinderatswahlen werden sich die Menschen St. Ulrich wohl noch eine Weile erinnern. Eine mehr als dürftige Auswahl an Parteien und KandidatInnen haben der Grödner Gemeinde ein denkwürdiges Ergebnis beschert. Die SVP war am 10. Mai bekanntlich allein zu den Wahlen angetreten. Im Vorfeld hatte man etliche Schwierigkeiten, die 18 gesetzlich notwendigen KandidatInnen überhaupt zusammen zu bekommen. Als dann die Auszählung der Stimmen beendet war, stand fest: Die Wahlbeteiligung war mit 40,2 Prozent zu niedrig, als dass der Wahlausgang zählte, es kommt zu Neuwahlen. Bis es am 15. November so weit sein wird, verwaltet Theodor Rifesser St. Ulrich kommissarisch. Gleich nach seinem Amtsantritt Ende Mai appellierte er an die Bevölkerung: “Ich möchte alle politisch interessierten Bürgerinnen und Bürger von St. Ulrich ersuchen, diese Zeit bestmöglich zu nützen, um für den Herbst solche Wahlen vorzubereiten, die die Bürger von St. Ulrich wieder stärker motiviert, zu den Wahlurnen hinzugehen.” Kein leichtes Unterfangen, möchte man meinen, in jenem Dorf, in dem die viel zitierte Politikverdrossenheit der Menschen im Land am größten zu sein schien.
Einheitsliste als Allheilmittel?
Doch für einige der DorfbewohnerInnen war der 10. Mai und seine Folgen ein Weckruf. Unmittelbar nachdem klar war, dass St. Ulrich in den kommenden Monaten weder einen Gemeinderat noch einen Bürgermeister haben wird, hat sich eine Gruppe von vierzehn Frauen und Männern zusammen gesetzt. Ihr Ziel: Ein neues Konzept für die anstehenden Gemeinderatswahlen ausarbeiten. Ihr Credo: “Eine Politik ohne Parteien.” Ihr Vorschlag: eine Einheitsliste. Wie das Ganze funktionieren soll, erklärt die Arbeitsgruppe “Lista Unica” auf der seit Kurzem ins Netz gestellten Homepage.
Die Einheitsliste beruht auf der Idee, die Kandidaten für die Gemeinderatswahlen unter allen Bürgern durch eine Vorwahl zu ermitteln. Von allen Nominierten werden dann jene 27 mit den meisten Stimmen – nach deren Einverständnis – auf eine Einheitsliste gesetzt.
Konkret hat die Arbeitsgruppe bereits an alle Wahlberechtigte der Gemeinde St. Ulrich einen Brief versandt. Darin ist ein Stimmzettel enthalten. Darauf sollen bis zu vier Vorschläge von Personen gemacht werden, die man für besonders geeignet für eine Kandidatur für den Gemeinderat hält. Bei der AG “Lista Unica” legt man Wert darauf, zu betonen: “Die Einheitsliste ist überparteilich. Daher kann jede Person, die das passive Wahlrecht besitzt, dafür nominiert werden.” Das Vorwahlverfahren läuft seit einigen Tagen online. Ab Donnerstag, 20. August, können die Stimmzettel auch persönlich im Kulturhaus in St. Ulrich abgegeben werden. Am 2. September sollen die Stimmen schließlich ausgezählt werden. “Die 27 meistgewählten Personen (die Zahl von maximal 27 KandidatInnen auf einer Liste ist gesetzlich vorgeschrieben, Anm. d. Red.), die sich für eine Kandidatur auch bereit erklären, treten bei den Gemeinderatswahlen im Herbst unter Berücksichtigung der gesetzlich vorgeschriebene Frauen-Männer-Quote als Kandidaten an.” So weit der technische Ablauf.
“Weder Partei noch Bürgerliste”
Ideologisch gehen die Vorstellungen der Arbeitsgruppe weit über Parteiräsonen hinaus. “Parteipolitik ist in einem Dorf nicht notwendig”, ist Sara Stuflesser überzeugt. Sie ist eine der vierzehn Mitglieder der AG “Lista Unica” und erklärt: “In einer Gemeinde geht es häufig um sehr konkrete Entscheidungen, die die Bevölkerung direkt betreffen. Im Gegensatz zur staatlichen und Provinzebene ist dafür keine politische Richtung nötig. Sondern es ist vor allem der Einsatz und die Meinung von Personen ausschlaggebend, die sich ständig mit den Bürgern austauschen.” Daher sei man auch an die Mitglieder und Funktionäre der SVP von St. Ulrich mit dem Vorschlag herangetreten, im November auf eine Kandidatur unter dem Edelweiß zu verzichten und stattdessen die BürgerInnen selbst und frei entscheiden zu lassen, wen sie auf der Kandidatenliste haben möchten. Doch davon wollte die SVP nichts wissen. Und das, obwohl sich laut Angaben der Arbeitsgruppe in einer ersten Umfrage 84 Prozent der BürgerInnen in St. Ulrich für eine Einheitsliste ausgesprochen haben. Die Volkspartei hat bekanntlich eine eigene Vorwahl gestartet, um die Gemeinderats- und Bürgermeisterkandidaten zu ermitteln. Dabei muss sie auf ihren vergangenen Bürgermeisterkandidaten verzichten. Ewald Moroder hat angekündigt, sich nicht noch einmal der Wahl stellen zu wollen.
Kein Parteisymbol, sondern das Logo der Arbeitsgruppe “Lista Unica”.
Grafik: Facebook/Lista Unica
Was passiert nun aber, sollte sich unter den meist genannten Personen der Vorwahl zur Einheitsliste auch ein Kandidat oder eine Kandidatin der SVP befinden? “Wir werden dann diese Person sicherlich auch fragen, ob sie auf der Liste kandidieren möchte. Denn es soll selbstverständlich sein, dass auf einer Einheitsliste alle antreten können. Also auch jene, die bereits für eine Partei kandidieren oder kandidiert haben”, heißt es aus der Arbeitsgruppe. Im selben Atemzug stellt man jedoch klar: “Die Einheitsliste ist aber keinesfalls eine neue Partei oder etwa eine Bürgerliste.” Sondern? “Die Idee basiert auf der Überlegung, dass bessere und demokratischere Entscheidungen für die Gemeinde gefällt werden, wenn sich die Politik von den Parteien lossagt und sich wieder auf die Menschen konzentriert. Es ist mehr Platz für die unterschiedlichen Meinungen, es wird besser diskutiert.”
Den Jungen gefällt's
Abgesehen von dem abweisenden Verhalten der SVP ist die Idee der Einheitsliste bislang in St. Ulrich auf durchwegs positive Resonanz gestoßen. “Vor allem bekommen wir viel Unterstützung von den Jungen im Dorf. Denen wird ja gern und häufig nachgesagt, dass sie sich nicht für Politik interessieren. Ihnen, aber auch allen anderen wollen wir mit der Einheitsliste eine alternative Idee von Politik vermitteln”, erklärt Stuflesser. Die meisten Mitglieder der AG “Lista Unica” sind selbst zwischen 30 und 35 Jahre alt. “Viele Junge können sich nicht mit einer Partei identifizieren und der Politik, so wie sie zur Zeit ist, wenig abgewinnen”, bestätigen sie. Den Beweis dafür hat man in St. Ulrich am 10. Mai Schwarz auf Weiß geliefert bekommen.
Auf Facebook kommuniziert die “Lista Unica” gern auf Ladinisch. Die Botschaft ist klar: “Wir wollen ein Miteinander, kein Gegeneinander.”
Nun soll Schluss sein, mit Politikverdrossenheit und Parteidisziplin. Geht es nach der Meinung der AG “Lista Unica” soll St. Ulrich einen neuen Weg einschlagen: “Politik sollte wieder offener werden, mehr die Meinung der Bevölkerung einbeziehen und das werden, was die Griechen als ‘Demokratie’ bezeichnet haben: die ‘Herrschaft des Volkes’.” Ob das Abenteuer Einheitsliste gelingt, wird sich im Laufe des Herbsts zeigen. Und wer weiß? Vielleicht bleiben auch die kommenden Gemeinderatswahlen den St. Ulrichern noch für lange Zeit im Gedächtnis.
So verbaut wie St. Ulrich
So verbaut wie St. Ulrich sind die anderen Ortschaften in Gröden bei Weitem nicht. Vielleicht gibt es etwa in St. Ulrich keine Umweltschutzauflagen mehr? Mein heuriger Besuch nach über 20 Jahren dort hat mich schockiert, als ich die vielen Baukräne wie auf dem Bild oben den Berghang hinauf sah.
Gratuliere, LM Gasser zum
Gratuliere, LM Gasser zum Artikel. Ich glaube auch, die zunehmende Politikverdrossenheit geht auf das jahrzehntelange Parteienregime und ich finde es zukunftsträchtig, wenn jetzt Nicht-Partei- Mitglieder die Sache in die Hand nehmen wollen.